TGAM-Experten-Meeting 2015: Zervixkarzinom

3. TGAM-Experten-Meeting „Zervixkarzinom – Vorsorge und Früherkennung“
20. März 2015, Innsbruck:

Das Programm
Freitag, 20 März 2015, Innsbruck

14:00–16:30, Block 1: Seminar Evidenzbasierte Medizin (begrenzte Teilnehmerzahl!)
17:00–20:45, Block 2: Hauptprogramm

 Download Programm

Experten-Meeting-Nachlese
Eine spannende Diskussion über Screening mittels PAP und/oder HPV-Test sowie die HPV-Impfung

Die bereits 2005 in Österreich eingeführte „Vorsorgeuntersuchung Neu“ (VU Neu) ist laut BMG ein „vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger und der Österreichischen Ärztekammer entwickeltes genderspezifisches medizinisches Programm, das dem aktuellen Stand der internationalen Medizin entspricht“ – es sieht ein systematisches Screening nach Zervixkarzinom für alle Frauen von 19 und 69 Jahren vor. Hausärzte in Österreich führen diese Untersuchung vielfach selbst durch beziehungsweise sollen die Zielgruppe im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung beraten und aufklären. Als geeignetes Routine-Intervall werden in der VU Neu drei Jahre vorgegeben, wenn zuvor mindestens zwei bis maximal drei initiale Abstriche im Ein-Jahres-Abstand unauffällige Befunde erbrachten. Für die meisten TeilnehmerInnen des Experten-Meetings waren diese empfohlenen Screening-Intervalle völlig neu. Tatsache ist, dass 24 % der Frauen nicht am Screening teilnehmen; dies ist derzeit die größte Schwachstelle des Zervixkarzinom-Screenings. Optimierungspotential bieten die Reduktion von Laborfehlern und die richtige Abnahmetechnik. Häufiger gescreent werden sollten zudem Frauen aus niedriger Sozialschicht, Frauen, die früh sexuell aktiv werden, promiskuitive Frauen und Frauen mit Geschlechtskrankheiten, HPV- oder HIV-Infektion.

Univ.-Prof. Mag. Dr. Andreas Widschwendter von der Univ.-Klinik für Gynäkologie in Innsbruck stellte beim Experten-Meeting das Prinzip eines individualisierten Screenings vor: Biologische Marker und der HPV-Test sollten im Rahmen einer Triagierung in Zukunft noch bessere Ergebnisse bezüglich der HPV-assoziierten Warzen und Dysplasien bringen und auch die Krebsmortalität weiter senken. Eine Änderung des bestehenden Screenings sieht er jedoch skeptisch, da man damit die Frauen nur weiter verunsichern würde. Dr. Martin Sprenger, MPH, Leiter des Universitätslehrgangs Public Health an der Medizinischen Universität Graz, prognostiziert der HPV-Impfung bis zum Jahr 2060 eine mögliche Reduktion von Inzidenz und Mortalität des Zervixkarzinoms um 30 – 40 (zusätzliche) Prozent bei einer Durchimpfungsrate von > 50 %, wobei diese Modellierung noch von vielen Unsicherheitsfaktoren beeinflusst werden kann. Dieser Berechnung stellte Univ.-Prof. Dr. Uwe Siebert, Prof. für Public Health an UMIT in Hall/Tirol, eine Modellrechnung zu 18 verschiedenen Strategien für die Gebärmutterhalskrebsfrüherkennung gegenüber. Dieser zufolge könnte das Screening-Intervall für Frauen ohne erhöhtes Risiko (s. o.) sehr wohl ausgedehnt werden; ein HPV-Test bei jungen Frauen wäre jedenfalls nicht zielführend.

Einmal mehr zeigte sich, dass ÄrztInnen wie auch die betroffenen Frauen selbst noch einen hohen Informationsbedarf zum Screening haben, um eine informierte Entscheidungsfindung zu ermöglichen. Dr. Brigitte Piso, MPH, Leiterin des Ressorts Public Health und Versorgungsforschung am Ludwig Boltzmann Institut Wien, präsentierte die 3. Revision des AOK-Online-Tools zur Entscheidung über die HPV-Impfung und verdeutlichte damit, wie aufwändig es ist, verfügbare Informationen bzgl. ihrer Relevanz zu prüfen und sie anschließend patientengerecht aufzubereiten.

Ob die HPV-Impfung – auch im Hinblick auf Kreuzprotektion oder Replacement – überhaupt wirksam ist, stellte Dr. Georg Wietzorrek, Klinischer Pharmakologe an der MUI, anhand der existierenden Studien überhaupt in Frage. Gesichert scheint einzig, dass Antikörperspiegel gegen das geimpfte HP-Virus gebildet werden und dass in den gefundenen Läsionen das jeweilige HP-Virus nicht nachweisbar ist. Zusammengefasst: Der Vierfachimpfstoff senkt die Anzahl an Neoplasien, die durch HPV 6,11,16 und 18 hervorgerufen werden – er führt aber zu keiner Reduktion an Neoplasien (CIN III+, AIS). Der Neunfachimpfstoff reduziert höhergradige zervikale Neoplasien ebenso wenig wie der Vierfachimpfstoff (NEJM 372;8, 19.02.2015). Letzterer führt zu einer Abnahme der Diagnosen anogenitaler Warzen bei Mädchen (15.–19. Lj.), führt aber zu einer Zunahme der Diagnosen anogenitaler Warzen bei Männern (20.–39. Lj.) (The Lancet, Infectious Diseases, available online 3 March 2015). Die HPV-Impfung sei genauso wenig eine „Impfung gegen Krebs“, wie „FSME eine Impfung gegen Zecken“ sei, schloss Georg Wietzorrek seinen kritischen Vortrag.

Einig sind sich die Referenten darüber, dass Österreich dringend ein Impfregister benötigt, dass die PAP-unauffälligen Frauen seltener untersucht, dafür aber die Risikogruppen überhaupt erst erreicht werden müssen und dass es einer Qualitätssicherung von Abstrich und Labor bedarf. Reißerisch dargestellte Werbung zu Impfnotwendigkeiten oder Screenings verunsichern die Bevölkerung genauso wie tendenzielle Informationsbroschüren. Christoph Fischer stellte zum Abschluss die noch in Arbeit befindliche Informationsbroschüre „Gebärmutterhalskrebs“ der TGAM vor; diese ist neben den Informationsbroschüren zu PSA, Mammographie und akuter Bronchitis die vierte derartige Arbeit der Tiroler Fachgesellschaft für Allgemeinmedizin, die ein Shared Decision Making unterstützen sollen.

Arzthandbuch „Vorsorgeuntersuchung Neu – Wissenschaftliche Grundlagen“
Arbeitspapier der neuen TGAM-Informationsbroschüre zum Zervix-Karzinom
 AOK-Entscheidungshilfe zur HPV-Impfung

Die Vorträge
Wir danken allen Referenten für das Bereitstellen der Online-Versionen!

Dr. Herbert Bachler (Arzt für Allgemeinmedizin, Psychotherapeut, Präsident der TGAM):
Eröffnung – Zur Rolle der Allgemeinmedizin im Gesundheitssystem

Dr. Franz Piribauer, MPH (Public Health-Spezialist, Arzt für Allgemeinmedizin. U. a. Berater des Hauptverbandes der österr. Sozialversicherungsträger, verantwortlich für den Pilot-Betrieb der Einrichtung „Evidence Based Health im Hauptverband“):  CIN I–III ist keine Einbahnstraße. Screening-Intervalle, Einstiegsalter, Schaden/Nutzen durch jährliches Screening; Prävention : Früherkennung

Prof. Mag. Dr. Andreas Widschwendter (Univ.- Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe der MUI, Mitglied International Papillomavirus Society und der Leitlinienkommission Zervixpathologie):  Papillomvirus-Forschung aktuell. Ersetzt der HPV-Test den PAP? Monitoring der HPV-Impfung – welche Mortalitätssenkung versprechen wir uns?

Dr. Martin Sprenger  (Arzt für Allgemeinmedizin, Master of Public Health, Leiter des Universitätslehrgangs Public Health an der Medizinischen Universität Graz und Berater des Instituts für Gesundheitsförderung und Prävention im Projekt „Evaluierung und Qualitätssicherung Vorsorgeuntersuchung neu“):   Wie viele Gebärmutterhals-Krebstote kann die HPV-Impfung tatsächlich verhindern? 500, 300 oder doch nur 30 Tote weniger? Welchen Effekt hätte im Vergleich ein populationsbezogenes Screening? Vergleich des zeitlichen Horizontes der beiden Maßnahmen

Prof. Dr. Uwe Siebert (Professor für Public Health an der UMIT, Prof. für Gesundheitspolitik und Management an der Harvard-Universität, u. a. spezialisiert auf die Evaluation von Public Health Interventionen und das Design entsprechender Studien):  Systematische Evaluation der Trade-offs von Nutzen, Schaden und Kosten beim Krebs-Screening am Beispiel Zervixkarzinom Modellrechnung. 18 verschiedene Strategien zur Gebärmutterhalskrebs-Früherkennung

Dr. Georg Wietzorrek (FA für Pharmakologie und Toxikologie an der Division für molekulare und zelluläre Pharmakologie der MUI):  HPV-Impfung: Kreuzprotektion oder Replacement? Zulassungsstudien: Welche klinischen Endpunkte wurden geprüft? Übertragbarkeit des Surrogatparameters CIN auf invasives Karzinom: Hinweise auf Replacement

Dr. Brigitte Piso, MPH (Leiterin des Ressorts Public Health und Versorgungsforschung am Ludwig Boltzmann Institut Wien, u. a. federführend tätig bei der Einwicklung der Online-Entscheidungshilfe der AOK zur HPV-Impfung, aber auch Leitung des Forschungsprojektes „Eltern-Kind-Vorsorge neu – Weiterentwicklung des Mutter-Kind-Passes“):

Entscheidungshilfe zur HPV-Impfung. Das LBI-HTA als unabhängige Instanz der wissenschaftlichen Entscheidungsunterstützung im Gesundheitswesen; die Online-Entscheidungshilfe der AOK als Zusammenfassung des Wissensstandes über die HPV-Impfung

Dr. Christoph Fischer (Arzt für Allgemeinmedizin, Vizepräsident der TGAM):
Die neue TGAM-Information „Gebärmutterhalskrebs – Vorsorge und Früherkennung“

Das Meeting in Bildern